Freitag, 12. Juni 2015

Über einen Kamm geschert.

Ich weiß, ich bin ziemlich spät dran mit meiner Stellungsnahme, aber ich habe einige Diskussionen mit Freunden und auch meinem Mann, einige Stellungnahmen im Internet und auch einige Überlegungen zu schon geschauten Dokumentationen und Zeitungsberichten gebraucht, bis ich mich durchringen konnte, auch noch meinen Senf zu dem Artikel der Huffington Post (Siehe hier!) abzugeben. Beeindruckt hat mich dabei Carolin von The Blogbook mit ihrer Stellungnahme zu Sabrina Hoffmanns Meinung (Siehe hier!). Auf diese beiden Meinungen möchte ich mich beziehen, denn sie stellen die Seele meines Blogs dar. In meinem Blog möchte ich Eltern ermutigen auf ihre Intuition zu hören (Zum Beispiel hier!), aber auch Eltern von heute anschauen (Zum Beispiel hier!). Ich möchte dabei das Wort bzw. die Wörter DIE ELTERN vermeiden, denn das ist meiner Meinung nach das Schlimmste an der ganzen Diskussion und der Resonanz auf den Artikel:
Das über einen Kamm scheren!

S. Hoffmann beschreibt ihre Kindheit als eine, die einer "kommunistische(n) Diktatur" glich. Als Beispiel erinnert sie sich an eine Zwangskonfiszierung ihrer Milchschnitte in der Kita. Ein seltsames Beispiel meiner Meinung nach. Nun gut, bei uns hieß es, bei der Eingewöhnung, dass wir so etwas nicht mitbringen sollen und zwar nicht wegen der Zahngesundheit, sondern wegen dem Neid, den es befördert. Auch in der Kita meiner Freundin wird dies so gehandhabt. Da unsere Drei-Klassen-Gesellschaft immer mehr in zwei Teile verfällt, wird schon von klein auf versucht, Ungleichheiten zu vermeiden, indem entweder die Erzieher(innen) selbst Süßigkeiten verteilen (und zwar zu gleichen Teilen), oder man zum Beispiel den Geburtstagskuchen in Absprache mit diesen mitbringen darf. Ich bin der Meinung, dass dieser Kommunismus nicht schadet, denn wie oft sehe ich mein Kind neidisch auf Süßigkeiten und Knabbereien der anderen Kinder blicken - wir haben meist selbst welche dabei, aber auf der anderen Seite ist das Gras bekanntlich grüner. Teilen muss eben gelernt sein!

Ihre kommunistische Diktatur - Kindheit war aber nicht ohne, denn durch diese ist sie stark geworden, während die Kinder der westlichen sozialen Marktwirtschaft ihrer Meinung nach absolut verweichlicht sind, Schuld daran sind wir, die Eltern: "Die Pädagogik der 80er-Jahre klingt rückblickend sehr grausam. Aber ich habe keine bleibenden Schäden davongetragen. Vielleicht hat es mich sogar stärker gemacht. Heute fällt mir auf, dass Kinder immer empfindlicher werden. Und das ist eure Schuld, liebe Eltern. Ihr erzieht sie zu verweichlichten Menschen - weil ihr sie vor allem und jedem beschützen wollt."

Viele Kommentatoren sind der Meinung, dass die Autorin bleibende Schäden abbekommen hat, anscheinend keine Kinder. Ich möchte sie ein wenig verteidigen, aber auch die andere Sicht aufwerfen.

Hoffmann nennt einige Beispiele, die ich persönlich als überspitzt bezeichnen würde (nun gut, es ist die englische Bild laut meines Mannes), und auch fehl am Platze. Ja es gibt Helikopter-Eltern, aber Helikopter-Eltern haben wesentlich extremere Züge. Laut Hoffmann sind wohl ziemlich alle Eltern welche.

1. "Wenn ich nicht Pipi machen wollte, musste ich so lange auf dem Töpfchen ausharren, bis ich es doch tat. Einmal beim Mittagessen zwang mich eine Erzieherin, ein Büschel Petersilie zu essen, obwohl ich das eklig fand. Mit dem Ergebnis, dass sie später fluchend ein anderes Kind saubermachen musste, das ich vollgekotzt hatte." - das Töpfchentraining wird mittlerweile sehr individuell und persönlich nach Reife des Kindes vollzogen. Unsere Tochter z.B. fängt erst damit an, wenn sie es sagen kann. Auch wenn wir natürlich bemerken, wann sie in die Windel macht oder auch wann sie den Raum verletzt, finden wir, ist es noch nicht so weit, um damit anzufangen, solange sie es noch nicht artikulieren kann. Ebenso wie Essen, welches man nicht mag, ist dieses Beispiel haarsträubend. Essen und "Pipi machen" sind sehr individuelle Dinge, sehr persönliche, welche sich auch auf das weitere Leben auswirken. Meine Tante (Ernährungsberaterin) ist z.B. der Meinung, dass ein Kind nicht über den Appetit hinaus essen sollte, andere Experten auf diesem Gebiet sagen, dass Kinder und Schwangere, das Essen worauf sie Lust haben und zwar weil der Körper einem dadurch sagt, was er gerade dringend benötigt. Meine Tochter bekommt folglich Essen, wann sie es will, natürlich bekommt sie kein 5-Gänge-Menü gezaubert, aber wenn sie in der Kita nicht mitfrühstückt, haut sie dafür beim Mittagessen richtig rein. Wenn sie dann nachmittags noch Hunger hat, gibt es mal einen Joghurt, mal Obst und im Sommer auch mal ein Eis. Ich gebe auch "Essen ohne Zusatzstoffe", achte auf Regionalität, teilweise auf das Bio-Siegel und lese die Ökotest. Aber hier geht es um Gesundheit, ein Gut, dass meinem Kind vielleicht später eine schönere Zeit ermöglicht. Warum soll ich sie gesundheitlichen Risiken beabsichtigt oder zumindest bewusst aussetzen?!

2. "Früher packten Kinder ihre Sachen selbst zusammen und fuhren mit dem Rad nach Hause. Aber das findet ihr viel zu gefährlich, liebe Eltern (...) Sie ließen sie mit Knallfröschen spielen und unbeaufsichtigt Fahrrad fahren. Und dass auch noch ohne Helm, Knie-, Hand-, Ellenbogenschoner und Rippenschützer und Reflektoren": Diesem Beispiel habe ich eigentlich oben schon widersprochen. Klar, hat die Autorin dies auch überlebt, und auch ich. Aber manchmal hatte man da auch viel Glück. Und viele hatten das Glück eben auch nicht. In den 80er Jahren sind wesentlich mehr Menschen bei einem Fahrradunfall gestorben und auch die Säuglingssterblichkeit (siehe weiter unten) war höher.

3. "Euer Beschützerinstinkt nimmt wahnwitzige Ausmaße an. Eine Freundin erzählte mir einmal, dass sie das Baby von Bekannten nicht halten durfte, weil sie davor eine Zigarette geraucht hatte. Natürlich nicht in Gegenwart des Kindes. Aber es hätten Nikotin-Reste an ihren Fingern kleben können." Genau die gleiche Argumentation. Meine Mutter und Freunde von mir sind auch Raucher und auch ich finde es nicht gerade prickelnd zu wissen, dass sie damit meine Tochter belasten. Sie belästigen und gefährden damit nicht nur meine Tochter, sondern auch mich. Aber Rauchen ist mittlerweile gesellschaftlich so anerkannt, dass man dagegen nichts mehr sagen darf. Mich stört es zum Beispiel auch auf der Straße, wenn ich dauernd diesen stinkenden Qualm entgegen gepustet bekomme. Dass Passiv-Rauchen schlimmer ist, als aktives Qualmen, hat die Autorin evtl. vergessen, ebenso das Rauchen in direkte Verbindung mit dem Plötzlichen Kindstot gesetzt wird (Zum Beispiel hier!).

Ihr Resümee ist eigentlich ein sehr liebevolles und ermutigendes, aber die Beispiele wie gesagt nicht gerade gut gesetzt: "Vielleicht würde es Kindern helfen, wenn wir sie wieder mehr wie normale Menschen behandeln. Wenn wir uns an unsere eigene Kindheit erinnern und daran, dass all die Gefahren damals gar nicht so bedrohlich wirkten. Liebe Eltern, euer Kind ist ein Wesen mit erstaunlichen Fähigkeiten. Es lernt unglaublich schnell, es ist angetrieben von großer Neugierde. Und es hat einen Körper, der dazu gemacht ist, hunderte Stürze und Rückschläge zu verkraften. Habt Vertrauen, dass es alles schaffen kann. Dann wird es auch so sein."

Nachdem wir diesen Artikel behandelt haben, komme ich nun zu einer direkten Antwort von Carolin von The Blogbook, die ich nicht nur für ihre Nähkünste, sondern auch für ihre starke Meinung und ihren Schreibstil bewundere. Ähnlich wie Hoffmann sucht sie nach dem Normalen, nach einer guten Erziehung für Eltern, geht dabei aber nicht autoritär wie in der Kommunistischen Diktatur vor. Sie möchte Eltern bestärken intuitiv zu handeln und erklärt das gestiegene Schutzbedürfnis (ähnlich wie ich) aufgrund neuer Anforderungen.

"Nun hat die Zeit die Eigenart, dass sie nicht nur voranschreitet, sondern auch Veränderungen mit sich bringt, heute schneller und einschneidender als jemals zuvor in der Geschichte. Unsere Gesellschaft findet nicht mehr nur im eigenen Ort statt (wie vor 20 oder 30 Jahren!), sondern auf der ganzen Welt. Jeder hat die Möglichkeit, zu allen Themen seine Meinung zu veröffentlichen, so irrelevant sie auch sein mag. Es gibt keine Wahrheiten mehr, denn alles ist gleich. Familien sind keine gewachsenen Strukturen mehr, sondern gebildete. Den Eltern wird gesagt, dass ihre Kinder besser und pädagogisch sinnvoller in einer Fremdbetreuung untergebracht sind als daheim. Zu jedem Thema gibt es Bücher und sogenannte Experten - und egal, auf welche Art und Weise man sich mit seinem Kind beschäftigt, es ist grundsätzlich falsch. Entweder spielt man mit ihm zu wenig oder zu viel, man überbehütet oder vernachlässigt es, man ist zu streng oder zu nachgiebig, zu autoritär oder zu kumpelhaft. Normal ist leider völlig aus der Mode gekommen!"

Dies sehe ich absolut gleich. Man wird als Eltern einfach immer über einen Kamm geschert, wie meine Freundinnen bestätigen. Gibst du dein Kind nicht in die Kita, wird dein Kind nicht sozialisiert. Gibst du dein Kind in Fremdbetreuung, schadet dies der Mutter-Kind-Beziehung. Vergleichbare Themen sind Stillen, Familien- oder eigenes Bett, Schreien-zum-einschlafen oder andere Methoden, ... Wie man es macht ist es falsch, eine ständige Bewertung findet statt, hauptsächlich unter Müttern. Und ja, auch ich schaue manchmal komisch, wenn ich manche Eltern mit ihren Kinder schimpfen sehe, oder wenn ich höre, warum manche Mütter nicht Stillen bzw sich für den geplanten Kaiserschnitt entscheiden, wenn ich höre, dass Eltern ihr Kind nach drei Monaten schon Schreien lassen damit sie durchschlafen lernen. Auch ich denke oft "das ist unmenschlich und nicht kindgerecht", und eigentlich verurteile ich mich dafür, dass ich verurteile. Denn die wirklich schlimmeren Themen spricht Hoffmann überhaupt nicht an: Vernachlässigte Kinder und überbehütete Kinder. Sie bringt dafür keine Beispiele.

Carolin von The Blogbook: "Eltern wissen nicht mehr wie Eltern sein geht. Dabei ist es völlig normal, dass das in einem drin liegt, dass man intuitiv weiß, was man zu tun und zu lassen hat. Ja, es gibt vernachlässigte Kinder und schlechte Eltern - die gab es im Übrigen auch schon vor 20 Jahren - da hat man es mangels Facebook nur noch nicht so mitbekommen. Und ja: es gibt die Eltern, bei denen auch ich die Hände über dem Kopf zusammen schlage und denke "Was um Himmels willen geht in Dir bloß vor?" 

Es gibt beide Elternpaarungen, es gibt vernachlässigte, es gibt überbehütete mit unterschiedlichem Ausmaß (Ein meiner Meinung nach krasses Beispiel siehe hier!), aber ich denke am meisten gibt es noch die Durchschnittseltern, die situationsbedingt abwägen. So wie Carolin:

"Ich trage übrigens auch den Schulranzen meines Sohnes, genauso wie ich ihn mit dem Auto von der Schule abhole und mit seiner Lehrerin über ihn spreche. Ich puste meinen Kindern die Auas weg und nehme sie ganz fest in den Arm, wenn sie sich weh getan haben. Tatsächlich gehen meine Kinder aufs Klo, wenn sie müssen - und haben dafür keine Blasenbeschwerden so wie ich (und wahrscheinlich auch die Autorin). Sie müssen auch nicht aufessen und auch nichts, was sie partout nicht mögen."


Deshalb liebe Frau Hoffmann, bitte ich Sie und viele von uns Eltern auch, genauso wie Ärzte, Erzieher, etc. Hört auf, alle über einen Kamm zu scheren! Es gibt nicht immer nur schwarz und weiß. Es gibt nicht immer nur gut und böse. Jede Familie und jedes Kind ist individuell, es gibt keine perfekte Erziehung (wenn sich Ratgeber widersprechen). Es sind neue Anforderungen hinzugekommen an uns Eltern, wir leben in einer sehr komplexen Welt. Wir können unsere Kinder nicht vor allem beschützen, aber wir möchten sie auch nicht unnötigen Gefahren aussetzen!"

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