Dienstag, 11. August 2015

Andere Länder, andere Familienpolitik #4 [Irland: I´ve got my travelling done]

Wieder ein Bericht meiner lieben Ramona. Weil die Tage leider nicht mehr Stunden haben, ich meinen Schlaf derzeit brauche und sowohl Kind, als auch Studium und andere Verpflichtungen warten. Die Begründung habe ich euch ja geliefert. Aber nicht mehr lange, dann ist der Wahnsinn vorbei. Mit jedem wöchentlichen Bericht nähern wir uns dem Ende. Heute also Irland. Untermalt mit einem kleinen Nähwerk, welches ich mir nicht nehmen lassen wollte und wie immer zuerst den Fakten. 


Irland, die grüne Insel, ist gemeinsam mit Island, Frankreich und Schweden Spitzenreiter Europas, was die Geburtenrate pro Frau angeht. Knapp 2 Kinder bekommt eine Familie durchschnittlich. Im Vergleich Deutschland: 1,4, welches am unteren Ende erscheint. Betont werden muss hierbei, dass es sich in Irland um ein "natürliches Bevölkerungswachstum" handelt, also die Geburtenrate kaum durch Zuwanderung positiviert wird. Traditionell erzieht in Irland die Mutter die Kinder, diese Traditionen hängen mit der katholischen Kirche zusammen und änderten sich seit der Finanzkrise in Irland zugunsten der arbeitenden Bevölkerung. Schon im Zuge des "Keltischen Tiger(s)"  wurden Frauen für die Erwerbstätigkeit aktiviert, damit der Arbeitskräftemangel in Irland kompensiert werden konnte. Trotz dieser sozioökonomischen Veränderung gelten die Frauen weiterhin als Erzieherinnen. Denn die Kinderbetreuung wurde bis heute kaum ausgebaut. Dies liegt unter Anderem an den sozialen Einschnitten in Folge der Finanzkrise, denn zuvor wurden Kinderrechte in der irischen Verfassung verankert. Lediglich drei- bis vierjährige Kinder können Teilzeit in einer Vorschule untergebracht werden. Kinderbetreuungskosten stellen in Irland ein Armutsrisiko dar. Die Kosten liegen weitaus höher als im EU-Durchschnitt (für ein Kind circa 250-300€ / Woche).  Die OECD kritisiert die familienpolitischen Leistungen Irlands: die Frauenerwerbsquote ist zu niedrig, die Kinderbetreuung zu schlecht ausgebaut, die traditionelle Familienpolitik bietet keinen Anreiz für die Erwerbstätigkeit von Frauen. 
Doch es gibt auch Anreize Kinder zu bekommen, wie zum Beispiel ein universelles Kindergeld. Allerdings wurde das Höchstalter dafür auf 16 beziehungsweise 18 Jahre begrenzt. Ab dem dritten Kind bekommen Familien mehr Kindergeld. Auch wird Mutterschafturlaub gewährleistet, allerdings bekommen Mütter lediglich 26 Wochen bezahlten und 16 Wochen unbezahlten Urlaub. Danach gibt es keinen Anspruch auf Elternzeit oder Vaterschafturlaub. Des Weiteren wurde die Kleinkindbetreeungszulage abgeschafft. Die schnelle Rückkehr zu Familienleistungen wird für Irland nicht erwartet. Stattdessen fördert der Rückgang der Leistungen das traditionelle Modell beziehungsweise Betreuung außerhalb der Möglichkeiten, welche der Staat bietet (dazu unten mehr). Und trotz kleiner Einschnitte in der Geburtenrate steht Irland weiterhin an der Spitze. Nach Island. 


Woran liegt das? Ramona konnte einige Antworten finden. Für sich selbst. Für uns.
1.) Die meisten Eltern sind in einer Großfamilie aufgewachsen. Sie kennen also das Leben mit Geschwistern und Gleichaltrigen und möchten dies auch für die eigenen Kinder.
2.) Die Familien arbeiten bei der Kindererziehung zusammen. Und helfen sich gegenseitig.
3.) Die Mutter in Irland wird noch geschätzt, wie oben bereits erwähnt sogar staatlich.
4.) Die Kinder sind in der Gesellschaft erwünscht. Selbst in Pubs gibt es Hochstühle.
5.) Die Kinder haben Natur um sich. Eine grüne Insel. Sie wachsen mit Kühen, Schafen, etc auf. Idyllisch.
6.) Die meisten Erwachsenen besitzen große Häuser (und zahlen diese ab) aufgrund des Bau- und Wirtschaftsbooms. Wie kann man ein Haus besser füllen als mit Spielsachen?
7.) Und die Eltern haben sich in den wilden 20-30er Jahren selbst verwirklicht. Nach dem Motto "I've got my travelling done". Ramona meinte, sie kenne kaum einen Iren, welcher nicht im Ausland war und ein wenig die Welt und sich selbst entdeckte. Nach der Selbstverwirklichung kommen dann die Kinder. Mit großem Glück. Während anderswo viele für immer danach suchen.
(In Internetforen fand ich noch einen achten Punkt. Die katholische Tradition, welche Verhütungsmittel kaum gestattet (späte Einführung dieser und hoher Preis). Auch Abtreibung gilt generell als verboten)


Doch sieht sie auch hier staatliche und familiäre Probleme und Chancen, welche ich nun ein wenig erläutern möchte.
1.) Laut Ramona ist die Kinderbetreuung katastrophal. In Crashkursen lernen viele schlecht ausgebildete Frauen den Beruf Erzieherin.
2.) Das ist der Grund warum Au Pairing in Irland tief verwurzelt ist. Lieber eine Betreuerin für das eigene Kind, welche man kontrollieren kann. Allerdings werden diese als Familienmitglieder angesehen (Platz genug ist dafür da)
3.) Auch der Markt hat sich auf dieses Prinzip eingestellt. So gibt es spezielle Autoversicherungen für AuPairs.
- Viele Mütter müssen mittlerweile arbeiten. Aufgrund der Wirtschaftskrise und der Anzahlung von den großen Häusern.
4.) Bei der Kindererziehung zieht aber immer noch die ganze Familie an einem Strang. Diese hat traditionell einen hohen Stellenwert. Ramona nannte das liebevoll Türpolitik: die Türen sind für alle und immer offen. So kann es auch mal sein, dass man nach hause kommt und jemand sitzt an der Bar und schlürft einen Kaffee.


An der vollen Selbstverwirklichung der Frau bzw. Mutter hegt Ramona jedoch Zweifel. Denn ist travelling wirklich done? Vermisst eine Frau nicht ihre Autonomie? So nutzen die Frauen auch gerne mal die frei gewordene Zeit für sich, welche der AuPair ihnen einräumt -  was nicht unbedingt verwerflich, aber erwähnenswert, ist. Die Mutter stemmt trotz Arbeit (mindestens Teilzeit) noch den Hauptanteil der Erziehung. Doch dafür, dass sie arbeiten geht, wird sie von der lieben Schwieger- und Mutter verteufelt, denn gute Mütter bleiben zuhause und erziehen die Kinder. Ich finde das klingt doch etwas nach Deutschland. 


Und um zu diesem Punkt zu kommen, folgt wie immer, ein kleiner Vergleich: Irland versus Deutschland.
1.) in Irland stehen Familie ziemlich alleine da. Zum Beispiel bei der Kinderversorgung und Finanzierung. Dafür haben sie wie bereits erwähnt einen Markt für alternative Familienunterstützung.
2.) in Deutschland wird sich gerne über die Familienpolitik beschwert. Dabei geht es uns vergleichsweise gut. Ramona meinte dazu: "wenigstens haben wir qualifizierte Kitas. Da sind die Wartezeiten doch erst einmal egal."
3.) in Deutschland kann die Mutter die Möglichkeit der Elternzeit wahrnehmen. In Irland geht eine Frau schnellstmöglich wieder arbeiten.
4.) die irischen Eltern sind nicht so karrieregeil und leistungsbezogen. Den Job hat man hier hauptsächlich wegen der Sicherheit. Auch klassische Berufe, wie Verkäuferin, werden hier gerne gelernt und gesellschaftlich anerkannt. 

So sieht Ramona irische Frauen übertrieben gesagt vor einem Zusammenbruch. Es ist eben nicht alles Gold was glänzt. Man kann nicht die perfekte Mutter, perfekte Frau und perfekte Arbeitnehmerin / -geberin sein. So findet man langfristig kein 100prozentiges Glück. In Deutschland ist es eher anerkannt, dass sich eine Frau auch mal ein bis zwei Stunden für sich nimmt um sich neben Beruf und Kind auch noch auf sich zu konzentrieren. 


Herzlichst, eure Ephrata 

Schnittmuster: Olive Star in Größe 98 aus der Ottobre 03/2014
Stoff: Jersey "Ahoi, Mister Fuchs!" von Cherry Picking

Kurze Information zum Genähten (da ich glaube, dass die meisten von euch deshalb hier landen). Das Olive Star Kleid habe ich schon einmal genäht und sowohl die Kleine, als auch ich, lieben es. Als ich den Stoff in der Hand hielt, wusste ich sofort, dass es dieses Schnittmuster werden würde (ein Matrosenkleid war mein Gedanke). Genäht ist es ratzfatz, mit Belegen und Framilonband. Die Größe ist für einen Ottobre Schnitt nahezu stimmig. In anderen Kleidern dieser Größe geht die Minnie wirklich unter, dieses ist auch noch groß, hält aber dafür länger. In der Ottobre gibt es einen T-Shirt Schnitt aus den gleichen Schnittteilen ("Star Snap"). Diesen werde ich euch sicherlich auch bald zeigen. Im Kopf habe ich schon etwas geplant. Im Übrigen ist die Ottobre 03/2014 irgendwie mein Favorit unter meiner Ottobre-Sammlung. In ihr sind Schnittmuster enthalten, welche schlicht und schick zugleich sind.

Quellen:
"Familienpolitik in der Wirtschafts- und Finanzkrise - Lehren aus dem internationalen Vergleich" von Silke Bothfeld, Sebastian Hübers und Sophie Rouault, S. 69-80, Dezember 2010
"Unser Vorbild sei Island" von Reiner Klingholz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Nr. 41/ Februar 2005, S. 39 (Online abrufbar),

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